Petra und Tine Tanztrume

 

Themenspecial: Geschäftsübernahme in Corona-Zeiten

Wenn das Herz für den Tanzsport schlägt

Tine Komnick hat trotz Corona das Tanzsportgeschäft Tanzträume in Münster übernommen

Ein Geschäft zu übernehmen, birgt immer ein Risiko. In Corona-Zeiten erst recht. Tine Komnick ließ sich von der Pandemie nicht abschrecken und verwirklichte ihren lang gehegten Traum von einem eigenen Tanzsportladen in Münster. Uns hat die 33-Jährige verraten, weshalb sie trotz der mehr als problematischen Umstände den Sprung ins kalte Wasser wagte, wie ein Düsseldorfer Mädchen seinen Herzensjob mitten in Westfalen fand und welche Rolle die Liebe in all dem gespielt hat.

„Ich habe schon immer selbst getanzt. Es ist ein so schönes und emotionales Hobby“, sagt Tine Komnick, die bereits im Sommer das Tanzsport-Atelier Tanzträume von ihrer Vorgängerin Petra Voosholz übernommen hat. „Ich wollte eigentlich auch schon immer in der Tanzbranche arbeiten, aber in dieser Nische gibt es ja nicht allzu viele Arbeitsplätze“, erklärt sie. Bis die gebürtige Düsseldorferin also ihr berufliches Happy End im Herzen der Münsterlandmetropole findet, braucht es ein bisschen Glück, ein paar günstige Zufälle, ganz viel Herzblut und eine Menge Durchhaltevermögen.

2012 verschlägt es die gebürtige Düsseldorferin in die rund 36.000 Einwohner zählende Stadt Greven im nördlichen Münsterland. „Ich bin der Liebe wegen hergekommen“, verrät die 33-Jährige, die heute mit ihrem Tanz- und Lebenspartner Thomas Möller für den TSC Ems-Casino Blau-Gold Greven bei den Senioren I S-Latein an den Start geht. Für eben jenen Verein, zu deren Mitgliedern auch Petra Voosholz zählt, die heute mit Tanzpartner Bernd Farwick unter anderem auf drei DM-Titel bei den Senioren III S-Standard, eine WM-Bronzemedaille und einen Sieg bei den German Open Championships zurückblicken kann. Und die zum damaligen Zeitpunkt im rund 20 Kilometer entfernten Münster auf rund 80 Quadratmetern einen kleinen, aber feinen Laden führt, der Tine Komnicks Herz alsbald höher schlagen lassen wird.

Bei einer Shoppingtour dem Schicksal begegnet

 „Ich wusste damals gar nicht, dass es in Münster ein Tanzgeschäft gibt, aber Thomas war schon länger Kunde und hat mich irgendwann natürlich mitgenommen.“ Was ursprünglich als kleiner Shopping-Ausflug gedacht war, wurde für die gelernte Groß- und Einzelhandelskauffrau zu einer geradezu schicksalhaften Begegnung mit ihrer beruflichen Zukunft. „Ich war sofort total begeistert und habe Petra also bei unserer ersten Begegnung gefragt, ob ich bei ihr arbeiten kann“, erinnert sie sich noch genau an diesen Moment. „Da hat sie mich schon ein wenig komisch angeguckt und gesagt, dass sie eigentlich niemanden braucht.“

Für Tine Komnick längst kein Grund, das Handtuch zu werfen. „Ich wollte sie unbedingt überzeugen und habe danach einmal pro Woche in meiner Freizeit hier ausgeholfen. Das muss man sich mal vorstellen, ich habe manchmal extra Urlaub genommen, um hier arbeiten zu dürfen“, erzählt sie und schüttelt lachend den Kopf. In der Folgezeit sammelt die Quereinsteigerin viele neue Erfahrungen, lernt beispielsweise mithilfe ihrer Nicht-So-Richtig-Aber-Irgendwie-Doch-Chefin, einiger Bücher und YouTube-Tutorials, wie man aus unterschiedlichen Stoffen, Glitzersteinchen und Deko-Elementen ein Turnieroutfit schneidert.

Selbstexperimente, YouTube-Videos und viele neue Erkenntnisse

Die Inspiration für ihre Kreationen sammelt sie dabei auf den Turnieren und Großveranstaltungen, die sie besucht. Ihr liebstes Versuchskaninchen ist sie selbst. „Es gibt ja einige Damen, die einen ganz bestimmten Stil für sich gefunden haben und der die Grundlage für jedes neue Outfit ist. Ich habe mich selbst noch nicht endgültig gefunden, deshalb experimentiere ich unheimlich viel. Lange Arme, kurze Arme, unterschiedliche Frisuren, Mesch, Leoprint – ich habe vieles schon getragen, was den Vorteil hat, dass ich heute meinen Kunden genau sagen kann, was von außen zwar toll aussieht, auf der Fläche aber furchtbar unpraktisch ist.“

Eine weitere Erkenntnis ihrer Lehrjahre: Eine umfassende Beratung der Kunden ist das A und O in dieser Branche. „Gerade Tänzer*innen, die sich zum ersten Mal etwas anfertigen lassen, sind am Anfang häufig völlig hilflos. Wir erarbeiten dann mit ihnen gemeinsam, wie sie eigentlich auf der Fläche wirken möchten, beispielsweise, ob ihr Tanzen eher sexy oder elegant ist oder ob die Dame eher wie ein typisches Mädchen oder wie ein Vamp rüberkommen will. Es braucht ganz viel Vorarbeit, bevor ich den ersten Nadelstich setze.“

Wichtig ist der Grevenerin dabei vor allem eins: „Tanzen ist ein eleganter Sport, dementsprechend soll auch das Outfit ästhetisch aussehen. Jeder Kunde hat seinen eigenen Geschmack und entscheidet selbst. Wenn ich aber schon sehen kann, dass etwas gar nicht zum Kunden passt und total unvorteilhaft aussehen wird, würde ich es im Zweifel auch nicht anfertigen. Als Designerin habe ich schließlich auch einen Ruf zu verlieren.“ Ein solcher Fall sei ihr bislang aber noch nicht untergekommen.  

Den Kampfgeist mit Fünf-Minuten-Terrinen gefüttert

Nachdem Tine Komnick vier Jahre lang Petra Voosholz regelmäßig als Aushilfe zur Seite steht, geht sie 2018 schließlich aufs Ganze. „Ich habe von heute auf morgen meinen alten Job gekündigt, weil ich wusste, dass ich jeden Tag hier verbringen wollte. Wenn dein Herz an einem bestimmten Ort schlägt, kannst du dich einfach nicht mehr aufhalten.“ Vor gut einem Jahr schmieden Tine Komnick und ihre Noch-Chefin schließlich den Übernahmeplan. „Ich habe Petra gesagt, dass ich Interesse hätte, den Laden zu übernehmen, wenn sie sich einmal zur Ruhe setzen möchte. 2020 stand ihr 60. Geburtstag an. Das schien uns ein geeigneter Zeitpunkt zu sein.“ Dann kam Corona.

„Natürlich war mir klar, dass eine Übernahme in diesen Zeiten ein großes Risiko ist. Aber so eine Chance bekommst du halt nicht zweimal und ich wollte die Gelegenheit beim Schopf packen“, sagt Tine Komnick. „Dieser Laden ist mein Traum. Es kam für mich gar nicht in Frage, all das, was Petra aufgebaut hat, all die Kunden, die netten Pläuschchen und die familiäre Atmosphäre einfach aufzugeben.“ Abzuwarten, bis die Pandemie vorbei ist, sei für sie ebenso undenkbar gewesen. „Ich hatte es Petra versprochen und ich stehe zu meinem Wort. Alles andere wäre ihr gegenüber nicht fair gewesen. Ich habe meinen Weg gewählt – mit allen Konsequenzen.“

Die junge Frau wagt den Sprung und beginnt im Sommer mit den Umbauarbeiten an ihrem Laden. „Wenn einem ein Geschäft gehört, möchte man natürlich, dass es den eigenen Charakter wiederspiegelt“, erklärt die Neu-Inhaberin, die drei Wochen lang Nacht für Nacht die Handwerkerin in sich zum Leben erweckt – natürlich mit tatkräftiger Unterstützung von Partner Thomas. „Er ist von Hause aus Bänker, nach Ladenschluss hat er mir geholfen. Allerdings mussten wir uns wegen Corona ein wenig zurückhalten, das Geld hat man ja schließlich nicht unbedingt in der Portokasse. In dieser Zeit haben wir uns von Fünf-Minuten-Terrinen und Essen vom Lieferservice ernährt“, kann sie sich noch gut an die einzelnen Etappen der Bauphase erinnern. „Aber wenn man dann sieht, wie sich alles entwickelt, geht einem das Herzchen auf.“

Lautes Rattern im Hinterkopf

Am 1. August feiert sie Eröffnung. Der Kundenandrang hält sich aufgrund der Umstände allerdings in Grenzen. Verständlich, meint Tine Komnick: „Wenn die Menschen sich beispielsweise wegen Kurzarbeit einschränken müssen, sind wir natürlich die ersten, die es trifft. Schließlich verkaufen wir Dinge für den Spaß an der Freude, keine lebenswichtigen Produkte.“

Etwaige Umsatzeinbußen ändern allerdings nichts daran, dass sie ihre Miete, ihre drei Mitarbeiterinnen, einige Aushilfskräfte und ihre Rechnungen bezahlen muss. „Natürlich rattert es ständig im Hinterkopf und man schläft auch nicht mehr besonders gut. Glücklicherweise ziehen momentan aber all diejenigen, die in der Tanzsportbranche unterwegs sind, momentan an einem Strang. Alle sind herzlich und verständnisvoll, wenn man mal etwas in Verzug gerät.“

Aber auch wenn die Situation nicht unbedingt förderlich für den inneren Ruhepol ist, versucht Tine Komnick optimistisch zu bleiben: „Ich lasse mir meinen Traum von einem Virus nicht nehmen. Ich halte so lange durch, wie es eben geht, da gibt es für mich überhaupt keine Diskussion. Und ich hoffe, dass die Stammkundschaft nach der Krise wieder zurückkommt.“ Trotzdem ist sie – wie so viele andere Einzelhändler auch – darauf angewiesen, dass das Geschäft nun langsam wieder anläuft. Und wenn die Kunden nicht zu ihr kommen, kommt sie eben zu den Kunden. „Es ist immer sinnvoll Kooperationen einzugehen, beispielsweise mit den umliegenden Vereinen. Tanzsportler*innen müssen jetzt zusammenhalten.“

Hoffnung auf ein wenig mehr Verständnis

Weniger sinnvoll sei es hingegen, wenn so mancher Kunde nun versuche, Profit aus der angespannten Lage zu schlagen, in der sich die Einzelhändler momentan befinden. „Manche Leute lassen sich eineinhalb Stunden lang von mir ausführlich beraten und fragen beim Kauf nach einem Corona-Rabatt. Das geht für mich gar nicht.“ Eine kostenfreie Serviceleistung habe der Kunde immerhin schon bei der Beratung erhalten. „Normalerweise habe ich ja auch nichts dagegen, ich gebe immer eine Schuhbürste oder etwas ähnliches dazu, aber in dieser Zeit brauche ich wirklich jeden Euro“, hofft sie bei dem einen oder anderen in Zukunft auf ein bisschen mehr Verständnis.

Denn die stetig steigenden Fallzahlen der letzten Wochen lassen befürchten, dass die Krise noch nicht ausgestanden ist und dass das Durchhalten noch eine ganze Weile weitergehen muss. Es bleibt zu hoffen, dass die Kunden ihren Vereinen und Tanzsportgeschäften weiterhin die Stange halten und sie in dieser schweren Zeit soweit sie können unterstützen. Und damit verhindern, dass das Coronavirus die Türen dieser ohnehin schon nicht in üppiger Anzahl vorhandenen Institutionen für immer schließt. 

Sandra Schumacher